WorkWorld von Adela Picón

Marina Porobic

Der Unterschied zwischen einem Brot, dessen "Lebensdauer" in der Welt kaum mehr als einen Tag beträgt, und einem Tisch, der manchmal Generationen von Benutzern überlebt, ist zweifellos viel schlagender als der Unterschied in dem Leben der produzierenden Subjekte, also der Unterschied zwischen einem Tischler und einem Bäcker. Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben.

Das Thema des Arbeiters hat eine lange Geschichte in der Kunst. Seit der Industrialisierung, als der Wert der Arbeit neu definiert wurde, ist das Thema vom Bildrand in die Bildmitte gerückt. Seit Courbet, Millet, später Dix, um nur einige zu nennen, beschäftigen sich die Künstler mit Lebens-und Arbeitsbedingungen des Arbeiters, legen sie offen, prangen sie an. Später greifen auch Videokünstler, darunter zum Beispiel Harun Farocki oder Ursula Biemann, dieses Thema auf. Nicht selten ist das Thema mit jenem der Migration verbunden. Migrationsströme beeinflussen nachhaltig Gesellschaftsstrukturen und fordern das Verständnis über das „Ich“ und den Blick auf das „Andere“ heraus. Adela Picón reflektiert in ihren Videoarbeiten diesen Wandel und schafft dazu ein Korrelat. Migranten sind nicht ohne ihre Geschichte zu denken, zu der auch ihre Arbeit gehört.

Ihre Videoarbeiten sind Kompositionen, die sich durch ihre formale Einfachheit auszeichnen und gesellschaftspolitische Erfahrungen thematisieren. Die Künstlerin, ursprünglich Malerin, kommt mit kleinen Gesten aus, mit nur wenigen aber minuziösen Bewegungen. Manchmal verzichtet sie gänzlich auf die Sprache, manchmal kommt ebendieser allerdings eine wichtige Rolle zu.

Ihre neueste Arbeit „WorkWorld“ reiht sich in den Reigen jener Arbeiten ein, die keinen dokumentarischen Anspruch erheben, sondern viel mehr Präsentationen von fiktiven Situationen sind, die Fragen um die Identitätsbildung, Klischees und den Blick auf das Andere aufwerfen. In dieser Videoarbeit bedient sich Picón eines für sie charakteristischen künstlerischen Mittels, um den linearen Erzählstrang zu unterbrechen und Vielschichtigkeit zu erzeugen: der Montage des Bildes entlang einer Vertikale, welche das Bild in der Mitte trennt und zwei Flächen definiert. Dass die Künstlerin zur Malerin ausgebildet wurde ist unbestreitbar. Zu dieser Bildkomposition liess sie sich durch Cezannes „Les Joueurs des cartes, 1894–1895, inspirieren. Die formale Ähnlichkeit lässt sich vor allem in den Versionen mit zwei Spielern feststellen. So spielt der Hintergrund darin kaum eine Rolle und der Bildraum wird durch klare Linien aufgeteilt. Eine Flasche auf dem Tisch dividiert das Bild in zwei Hälften und räumt jedem der Spieler den eigenen Raum ein.

In „WorkWorld“ geht Adela Picón ähnlich vor. Wir sehen, in zehn Videos in einer fixen Kameraeinstellung, zwei Menschen, offensichtlich unterschiedlicher Herkunft. Es wird sich herausstellen, dass es sich jeweils um einen Schweizer handelt und einen Flüchtling. Was sie verbindet ist, dass sie denselben Beruf ausüben bzw. ausgeübt haben. Sie sitzen sich gegenüber. Der eine hält einen Gegenstand in der Hand, einen Pinsel, ein Mikrofon, einen Spielzeugbagger, ein Stück Stoff und beginnt in seiner Muttersprache über seine Arbeit zu erzählen. Sein Gegenüber scheint zuzuhören, nickt gar verständnisvoll, lächelt, staunt. Dann, ganz langsam, übergibt ihm der Redner den Gegenstand. Ein in zweierlei Hinsicht wichtiger Moment dieser Arbeit. Zum einen weil der Betrachter während des Erzählens diesen Gegenstand zwar als Symbol, das über die Sprachgrenzen hinaus verständlich ist, wahrnimmt, ihm vermutlich aber keine weitere Beachtung schenkt. Zum anderen, weil das Objekt im Moment seiner Übergabe, als es hinter der Trennlinie im enigmatischen Raum verschwindet, die Illusion der konstruierten Begegnung offenlegt. Erst zeitversetzt kann sich das Gegenüber das Objekt holen und zu seiner Geschichte ansetzen. Der Betrachter nimmt einen neuen Raum wahr.

In diesem Moment vollzieht Adela Picón eine Verschiebung der Bedeutungsebenen und lenkt den Betrachter weg von den Erzählenden hin zu einer Leerstelle. Nicht zum ersten Mal bricht sie im Moment der Berührung die Begegnung ab. So auch in „El Saludo“, wo sie zwei sich grüssende Menschen hinter der Schnittlinie verschwinden lässt. Anstatt sich die Hände zu schütteln, verschmelzen sie ineinander und gehen aus dem Bildraum heraus.

Solche Schlüsselmomente sind für das Verständnis der Arbeit von Adela Picón entscheidend. Das Bewusstsein der Künstlerin für die sozialpolitische Aktualität wie die Flüchtlingsproblematik, spiegelt sich stets in ihrem Werk, welches dabei nicht illustrativ wirkt. Es ist nicht dokumentarisch-linear und die Künstlerin liefert darin keine eindeutigen Antworten. Vielmehr trägt die Künstlichkeit des Settings dazu bei, dass Fragen aufgeworfen und Interpretationsfelder eröffnet werden. Der Rückgriff auf das Medium des Videos zur Übertragung ihres Anliegens überrascht demnach nicht. Zumal es sich auch derselben Sprache wie die Medien, welche unser Bild der „Flüchtlinge“ beeinflussen, bedient.